Viele Muslime tragen Fragen mit sich herum, die sie kaum laut aussprechen:
„Wenn ich wirklich stark im Glauben wäre, müsste ich das doch aushalten, oder?“
„Bin ich ein schlechter Muslim, wenn ich mir psychologische Hilfe suche?“
„Ist das, was ich gerade erlebe, vielleicht eine Strafe von Allah?“
Solche Gedanken kommen aus einem Herzen, das versucht, Sinn im Schmerz zu finden. Und das ist zutiefst menschlich.
Krankheit ist keine Strafe – sie ist eine Form der Barmherzigkeit
Im Islam bedeutet Leid nicht automatisch, dass Allah zornig ist.
Der Prophet ﷺ sagte:
„Kein Muslim wird von einem Leid getroffen – sei es Sorge, Schmerz oder Krankheit –, ohne dass Allah ihm dadurch Sünden vergibt.“
(Sahih al-Bukhari, Sahih Muslim)
Manchmal spüren wir Schmerz, obwohl wir nichts „falsch“ gemacht haben. Es ist einfach das Leben, das uns ruft, hinzusehen, zu verstehen, zu wachsen.
Im Qur’an erinnert uns Allah:
„Wahrlich, mit der Erschwernis kommt die Erleichterung.“ (Sure 94:5–6)
In jeder Dunkelheit steckt also bereits ein Stück Licht. Aber wir müssen uns erlauben, es zu suchen.
Therapie ist kein Zeichen von Schwäche – sie ist ein Zeichen von Reife
Manche denken: „Ich bete, ich vertraue auf Allah – warum sollte ich dann zur Therapie gehen?“
Doch der Prophet ﷺ sagte:
„Allah hat für jede Krankheit ein Heilmittel erschaffen. Wer es kennt, wird geheilt mit Seiner Erlaubnis.“
(Sahih Muslim)
Das schließt auch seelische bzw. psychische Krankheiten ein.
Wenn jemand zum Arzt geht, um sein gebrochenes Bein heilen zu lassen, zweifelt niemand an seinem Iman. Warum also sollten wir zögern, wenn unser Herz oder unsere Psyche verletzt ist?
Therapie bedeutet nicht, dass man Allah vergisst – sie bedeutet, dass man die Mittel nutzt, die Er uns gegeben hat.
Tawakkul – das Vertrauen auf Allah – heißt nicht, nichts zu tun. Es heißt: Ich tue, was in meiner Hand liegt, und überlasse den Rest Allah.
Schweigen schützt nicht – es lässt Wunden nur tiefer werden
In vielen Familien ist es immer noch schwer, über psychische Belastung zu sprechen.
„Was sollen die Leute sagen?“
„Das ist nur eine Phase – wenn du betest, geht das schon vorbei.“
„Solche Dinge bespricht man nicht mit Fremden.“
Diese Sätze fallen oft aus Liebe – aber sie verhindern Heilung.
Studien zeigen, dass Muslime in Deutschland deutlich seltener psychologische Hilfe suchen als andere Gruppen.
Leider tragen viele ihr Leid still in sich – manchmal über Jahre.
Glaube und Therapie – zwei Wege, die sich ergänzen
Der Qur’an sagt:
„Wahrlich, in der Erinnerung (Dhikr) an Allah finden die Herzen Ruhe.“ (Sure 13:28)
Dhikr, Dua, Qur’an – all das beruhigt das Herz.
Aber manchmal braucht die Seele einfach mehr: ein Gegenüber, das zuhört, ein Mensch, der bezeugt, was in einem vorgeht, und hilft, alte Wunden zu verstehen.
Ein Gespräch, eine Begleitung, ein Dasein, das neue Ordnung und Regulation ins Innere bringt.
Therapie und Glaube widersprechen sich also nicht – sie greifen ineinander.
Wo der Glaube Sinn und Hoffnung schenkt, hilft Therapie, Wege zur Veränderung zu erkennen.
Beides zusammen ist wie zwei Hände, die dich gleichzeitig halten.
Heilung ist ein Weg – kein Zustand
Manchmal braucht es Mut, einfach nur zu sagen: „Ich brauche Hilfe.“
Aber genau dieser Satz kann der Anfang von Heilung sein.
Denn wer um Hilfe bittet, gibt nicht auf – er steht auf.
Allah sagt im Qur’an:
„Wir haben den Menschen erschaffen, und Wir wissen, was seine Seele (Nafs) ihm einflüstert.“ (Sure 50:16)
Allah kennt dein Herz besser als du selbst.
Und Er freut sich, wenn du dich um dich kümmerst – körperlich, seelisch, spirituell.
🌿 Also:
Therapie ist kein Zeichen eines schwachen Glaubens.
Sie ist Ausdruck von Iman – weil du Verantwortung übernimmst, weil du die Mittel nutzt, die Allah dir schenkt, und weil du dich nicht aufgibst.
Therapie ist nicht der Ort, an dem dein Glaube ins Zweifeln kommt –
sondern der Ort, an dem du lernst, ihn wieder zu spüren und neu zu erleben.
Dein TADAVI-Team


